Nicht nur Archivgesetze... Archivarinnen und Archivare auf schwankendem rechtlichen Boden?
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Best Practice - Kollisionen - Perspektiven
Beiträge zum 22. Archivwissenschaftlichen Kolloquium der Archivschule Marburg
Vorwort von Irmgard Christa Becker, Clemens Rehm, Udo Schäfer (Hrsg.)
Die zunehmende Verrechtlichung des gesellschaftlichen und politischen Lebens macht vor den Archiven nicht halt. Neben den archivgesetzlichen Vorschriften sind zahlreiche andere Rechtsnormen anzuwenden. Der Titel des 22. Archivwissenschaftlichen Kolloquium der Archivschule Marburg „Nicht nur Archivgesetze … Archivarinnen und Archivare auf schwankendem rechtlichem Boden“ versucht die mit dieser durchaus schon lange bestehenden Erkenntnis verbundene Verunsicherung unter Archivarinnen und Archivaren angesichts der immer komplexer werden-den rechtlichen Regelungen auszudrücken.
Ziel des Kolloquiums war es, die Herausforderungen zu benennen und Antworten auf Fragen nach dem Umgang mit ihnen zu finden. Anhand der archivischen Aufgaben der Überlieferungsbildung und des Zugangs zu Archivgut wurden die Themenfelder Anbieten versus Löschen im Kontext der EU-Datenschutzgrundverordnung sowie Personenschutz, Urheberrecht, Informationsfreiheit und Informationsweiterverwendung im Rahmen des Zugangs zu Archivgut dargestellt und teilweise kontrovers diskutiert.
Im Lauf des Kolloquiums wurde deutlich, dass Archivarinnen und Archivare sich auch weiterhin darauf einstellen müssen, dass die Archivgesetze als alleinige Rechtsgrundlage der Archive schon lange nicht mehr ausreichen, um in einer immer stärker digitalisierten Welt archivische Aufgaben zu erledigen. Letztlich erweist sich der Wunsch nach einer allein gültigen Rechtsnorm als Illusion, die noch nie mit der Wirklichkeit übereingestimmt hat.
Die Novellierung des Urheberrechts im Jahr 2017 hat dazu geführt, dass der Vortrag „Vorlage und Versand – Urheberrecht in der Nutzung“ von Mark Steinert nicht abgedruckt werden konnte. Die Tagungsfassung ist durch die Novellierung überholt, Erfahrungen mit dem neuen Gesetz fehlen bisher.
In Sektion 1 zum Aspekt „Überlieferungsbildung“ berichtet Andrea Hänger über die EU-Datenschutzgrundverordnung und ihre Auswirkungen auf die Archive. Sie kann insgesamt eine positive Bilanz ziehen. Es ist vor allem gelungen, den archivischen Zweck als Ausnahmetatbestand bei der Vernichtung oder Löschung von Unterlagen und Daten zu verankern. Jost Hausmann stellt die Vorschriften zur Unveräußerlichkeit sowie zu unbefugter Vernichtung und zur Entfremdung von Archivgut zusammen. Clemens Rehm kontrastiert das Löschungssurrogat mit den gestiegenen Anforderungen an den Datenschutz und stellt die Hand-lungsfelder für die Archive dar.
In Sektion 2 „Zugang ermöglichen“ stellt Jost Hausmann die Diskussion um anonyme Nutzung in Archiven zusammen und zeigt am Beispiel von Rheinland-Pfalz, dass eine anonyme Nutzung nicht möglich ist. Christine Axer stellt Potentiale für die Harmonisierung von Informationsfreiheits- und Archivgesetzen dar. Sie macht Vorschläge für Anpassungen, insbesondere für die Regelungen zur Schutzfristenverkürzung.
Vinzenz Lübben zeigt in Sektion 3 „Zugang schaffen“, wie relevant der postmortale Persönlichkeitsschutz bei der Bereitstellung von Daten zu Holocaust-Opfern im Netz ist. Christian Reinhardt stellt an einem Fallbeispiel dar, dass die Weiterverwendung von digitalisiertem Archivgut, dessen Schutzfristen noch nicht abgelaufen sind, nur als Auftragsdatenverarbeitung möglich ist. Er zeigt auf, unter welchen Voraussetzungen eine Weitergabe gemäß IWG erfolgen kann.
In der vierten Sektion zur „Weiterverwendung“ stellt Andreas Nestl die Anwendung des IWG in Archiven dar. Er macht deutlich, dass auch künftig Nutzungsentgelte erhoben werden dürfen. Dominik Scholl stellt die Möglichkeiten der Kooperation von Archiven mit Wikimedia vor. Eric Steinhauer beschreibt die Regelungen des neuen Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetzes und kommt zu dem Schluss, dass diese Regelungen für archivische Belange nicht geeignet sind.
In der abschließenden Podiumsdiskussion wurden die im Lauf der Tagung entwickelten Ergebnisse aufgegriffen und in die Zukunft erweitert.
Sichtbar wurde, dass rechtliche Fragestellungen, die Archive betreffen und von Archivarinnen und Archivaren anzuwenden sind, in vielen Gesetzen enthalten sind und dass die Zuordnung dieser Fragestellungen zu einem bestimmten Gesetzgebungsbereich durchaus unterschiedlich beantwortet werden kann. Theresa Rösler danken wir für Arbeiten am Satz, Dr. Bernadette Banaszkiewicz für die sorgfältige Redaktion der Beiträge und Arbeiten am Satz und Leena Kozhupakkalam für die Durchführung von Korrekturen. Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre.
Erscheinungsjahr 2019,
Sprache Deutsch, 1. Auflage,
281 Seiten, broschiert