Archivists meet Historians - Transferring source criticism to the digital age
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Aus dem Vorwort
von Irmgard Christa Becker
Die Archive übernehmen seit vielen Jahren digitale
Unterlagen, die für die Forschung bereitgestellt werden können. Damit
stellen sich unmittelbar Fragen zur Arbeit mit den digitalen Archivalien
im Forschungskontext: Wie können traditionelle Methoden der
Quellenkritik ins digitale Zeitalter übertragen werden? Welche neuen
Methoden sind zu erarbeiten und welche Daten müssen dafür bereitgestellt
werden?
Am Endpunkt der Forschung ist zu fragen, wie werden die Ergebnisse publiziert, ggf. mit den digitalen Archivalien verknüpft und welche Daten werden in die Archive zurückgeliefert, um für andere Nutzungen zur Verfügung zu stehen. Diese Fragestellungen werden auch im Konsortium NFDI4memory in der nationalen Forschungsdateninfrastruktur bearbeitet und diskutiert. Die Archivschule Marburg ist Participant in NFDI4memory und beteiligt sich an diversen Themenfeldern. In der Task Area 1 Data Quality, Measure 1 Assessment of data quality practices, Task 3 Assessment of standards for digital source criticism war das 27. Archivwissenschaftliche Kolloquium mit dem Titel: „Archivists meet Historians – Transferring source criticism to the digital age“ eine der ersten Veranstaltungen. Ziel der Tagung war es, Geschichtsforschung und Archive zusammenzubringen, um die oben aufgeworfenen Fragen zu diskutieren.
Die Beiträge aus den Sektionen des Kolloquiums können drei Themenfeldern zugeordnet werden: Erstens Grundlagen und Voraussetzungen einer digitalen Quellenkritik, zweitens Recherchestrategien und Datenaufbereitung und drittens Zusammenarbeit der Archive und der Forschung.
Im ersten Themenfeld beschreibt Bastian Gillner wie sich Akten in der digitalen Verwaltung verändern und durch unstrukturierte Dateiablagen und Fachverfahren ergänzt werden. Als Folge davon ist auch bei der Quellenkritik eine Akzentverschiebung zu einer verstärkten Auseinandersetzung mit den Geschäftsprozessen der Verwaltung notwendig.
Klaus Nippert zeigt am Beispiel der Archivierung von Studierendendaten, dass die digitale Sicherung der Authentizität und Integrität der Daten eine essentielle Voraussetzung für eine angemessene digitale Quellenkritik ist.
Marcus Schmalzl stellt dar, dass Metadaten zu eAkten auch künftig heterogen bleiben werden. Welche Metadaten für die Quellenkritik zur Verfügung stehen, hängt von den Entscheidungen zur Archivierung der eAkten in deren produktiver Phase ab und von den Schnittstellen, die für die Übernahme programmiert werden.
Im zweiten Themenfeld plädieren David Gniffke und Andreas Hedwig für eine Erschließung, die sich an informationswissenschaftlichen Grundsätzen orientiert und eine semantische Suche ermöglicht. Sie schlagen vor, auf der Basis von Records in Context (RiC) einen Erschließungsstandard zu entwickeln, der diese Anforderungen erfüllt.
Peter Quadflieg zeigt wie mit der Formulierung von Personae die Bedarfe aus der Nutzung standardisiert werden können. Das bildet die Grundlage für eine Freisetzung von Personalkapazitäten für die Erschließung. Christian Lotz und Grigori Chlesberg geben am Beispiel der Ortsnamenvielfalt in Ostmitteleuropa seit dem 19. Jahrhundert und deren Auswirkung auf die Ordnung geografischen Wissens Denkanstöße zur Weiterentwicklung der Verfahren und Techniken zur Erfassung von Ortsnamen.
Tanja Wolf stellt die Professorendatenbank des Archivs der TU Braunschweig als Beispiel für aufbereitete Personendaten vor. A
Annabel Walz legt dar, dass es bei der Bereitstellung von archivierten Webseiten noch keinen Konsens darüber gibt, welche Informationen für die Benutzung mitgegeben werden. Dieser Beitrag bildet eine Brücke zum dritten Themenfeld. Die Autorin stellt fest, dass die Abgrenzung der Aufgaben bei der Nutzung von Webseiten zwischen den Archiven und der Forschung noch zu diskutieren ist. Torsten Hiltmann und Melanie Althage ordnen den Masterstudiengang Digital History der Humboldt-Universität konzeptionell und theoretisch ein und beschreiben ihn als Brücke zum Archivwesen.
Kai Naumann, Lutz Raphael und Pascal Siegers weisen darauf hin, dass in der sozialwissenschaftlichen und oft verwaltungsnahen Forschung große Mengen an Daten entstanden sind, die bisher keiner Anbietungspflicht unterliegen, aber für die historische Forschung relevant sind. Sie plädieren für eine systematische Archivierung dieser Daten in öffentlichen Archiven.
Simon Donig, Anna-Lena Körfer und Ole Meiners zeigen auf, dass Forschungsdatenmanagement als Mittler zwischen Forschung und Archiven fungieren kann. Hier können Werkzeuge erarbeitet werden, die die Anwendungen aus der Forschung und den Archiven zusammenbringen, um sie gemeinsam weiterzuentwickeln.
Andreas Neuburger und Matthias Razum beschäftigen sich mit der Frage, wie die Dateninfrastrukturen der Archive und des Forschungsdatenmanagements miteinander vernetzt werden können, um Daten auszutauschen und wechselseitig zu nutzen.
Die Quellenbasis der Geschichtsforschung hat seit den 1970er Jahren eine enorme Ausweitung erfahren. Für viele Themen war es nicht mehr zwingend notwendig, öffentliche Archive zu nutzen. Diese Tatsache und die Hinwendung der Archive zur Verwaltung seit den 1990er Jahren haben dazu geführt, dass sich Archive und Forschung ein wenig auseinandergelebt haben, auch wenn der Dialog nie ganz eingeschlafen ist. An vielen Orten hing es von individuellem Engagement ab, wie gut die Zusammenarbeit war. Seit einigen Jahren ist eine Wiederannährung zu beobachten. Archivische Themen werden auf dem Historikertag vorgetragen und im Archivwesen finden immer wieder gemeinsame Tagungen statt. NFDi4memory hat dieser Wiederannährung viel Auftrieb gegeben, da hier historisch arbeitende Forschung, Archive und Gedächtsnisinstitutionen von Anfang an zusammengearbeitet haben.
Das 27. Archivwissenschaftliche Kolloquium hat eindrucksvoll gezeigt wie viele Schnittstellen es zwischen Archiven und historisch arbeitender Forschung gibt und welche Neujustierungen des Verhältnisses notwendig sind, um in der digitalen Welt gut und vertrauensvoll zusammenzuarbeiten. Ein verstärktes Eingehen der Archive auf die digitalen Bedarfe der historischen Forschung hat Petra Gehring in ihrem Eröffnungsvortrag angemahnt.
Irmgard Christa Becker, Dominik Haffer,
Florian Lehrmann und Robert Meier (Hgg.)
2024, 293 S., broschiert