Product information " Born digital – neue Archivaliengattungen und ihre Bearbeitung im Archiv. "

Beiträge zum 28. Archivwissenschaftlichen Kolloquium der Archivschule Marburg

Vorwort - von Irmgard Christa Becker

Das Jahr 2024 stand im Zeichen des Jubiläums 75 Jahre Archivschule. Dazu fand vor dem 28. Archivwissenschaftlichen Kolloquium ein Festakt statt, bei dem Lutz Raphael den Festvortrag gehalten hat. Er ging darin auf die Thematik des Kolloquiums mit dem Stichwort Datensouveränität in der digitalen Demokratie als Auftrag an die Archive ein.

Datensouveränität ist ein nicht eindeutig definierter Begriff mit vielen Facetten. Ein wichtiger Aspekt für die Archive ist das Spannungsfeld zwischen Datenschutz für den Einzelnen und archivrechtlich garantierter Nutzung im Interesse der Öffentlichkeit. Das Thema grundiert die Prozesse im Umgang mit digitalen Unterlagen.

Bei der Übernahme ist zu entscheiden, ob Klardaten oder anonymisierte Daten übernommen werden, bei der Zugänglichmachung sind archivrechtliche Schutzfristen anzuwenden. Ein weiterer Begriff ist die Transparenz der Prozesse. Dieses Thema gewinnt bei der Übernahme digitaler Daten eine herausragende Bedeutung. Denn digitale Unterlagen sind bei der Übernahme und damit vor ihrer Archivierung als Einheiten zu definieren. Oft müssen die Archivarinnen und Archivare auch in die Strukturen eingreifen, um digitale Unterlagen überhaupt archivieren zu können. Damit diese Prozesse für künftige Nutzer nachvollziehbar bleiben, ist eine vollständige und aussagekräftige Dokumentation der Ein-griffe besonders wichtig.

Die Thematik wird in mehreren Vorträgen angesprochen. Transparenz hängt eng mit dem letzten Begriff, den ich benennen möchte zusammen, nämlich der Nutzerzentrierung. Die Nutzung ist der Endzweck der Archivierung und zwar egal, ob für die Rechtssicherung oder Rechtswahrung oder für die wissenschaftliche Nutzung. Wenn die Archive die Prozesse der digitalen Archivierung und die Formierung digitaler Unterlagen so einrichten, dass die Nutzungsinteressen im Mittelpunkt stehen, können sie auch damit rechnen, ihre Nutzergruppen als Verbündete zu gewinnen. Gerade in den aktuell finanziell angespannten Zeiten ist es umso wichtiger, dass Archive und Nutzerinnen und Nutzer gemeinsam für eine funktionierende Archivierung digitale Unterlagen einstehen und damit Datensouveränität in der digitalen Demokratie sichern.

Im Eröffnungsvortrag verdeutlicht Christian Keitel, dass die Definition digitaler Archivaliengattungen eine zentrale Voraussetzung für die Erhaltung ihrer Authentizität und damit für das Vertrauen in die Archive ist. Er stellt seine Klassifikation von analogen und digitalen Archivalien auf drei Ebenen noch einmal vor und macht deutlich, dass die klassischen Archive gemeinsam mit anderen digitalen Archiven Maßnahmen der digitalen Bestandserhaltung erarbeiten können.

Maria von Loewenich beschreibt die zunehmende Auflösung klassischer Arbeitsstrukturen in der öffentlichen Verwaltung. Die neuen Instrumente zur Steuerung und Dokumentation von Verwaltungshandeln vorrangig Fachverfahren und E-Mails sind in die archivischen Konzepte der Bewertung zu integrieren, damit auch für künftige Forschung aussagekräftige Quellen zur Verfügung stehen.

Maria Benauer beleuchtet die E-Mail als neue Archivaliengattung. Sie stellt heraus, dass E-Mails nicht einfach in gängigen Klassifikationen der Aktenkunde eingegliedert werden, sondern ein eigenständiges Kommunikationssystem darstellen. Karin Winter zeigt am Beispiel des Wiener Stadt- und Landesarchiv wie eine systematische Übernahme digitaler Unterlagen gelingen kann.

Antje Lengnik streicht die Vorteile frühzeitiger Entscheidungen in der digitalen Bestandserhaltung heraus. Annette Birkenholz und Maria Liebich zeigen am Beispiel eines Gewerberegister, dass der Übernahmeprozesse enorm profitieren kann, wenn zu diesem Zeitpunkt der Archivierung die spätere Nutzung bedacht wird.

Franziska Klein aus dem Landesarchiv NRW und Jan Ludwig aus dem Bundesarchiv stellen unterschiedliche Arbeitsweisen mit der eAkte in der Verwaltung und ihre Auswirkungen auf die Archive vor. Niklas Alt stellt vor, wie Archive mit Daten aus Geoinformationssystemen arbeiten können, um sie zu übernehmen und für die Nutzung bereitzustellen. Anne Pfeuffer stellt die digitale Archivierung von Bildern, Filmen und Tönen mit begrenzten Ressourcen im Stadtarchiv Braunschweig vor.

Markus Stauffiger zeigt anhand eines Softwareprodukts wie Bilderkennung mit KI funktioniert und für die Erschließung von Fotos genutzt werden kann. Esther Julia Howell zeigt die E-Mail-Archivierung an einem praktischen Beispiel. Isabell Schönecker stellt vor wie mit Python Skript automatisiert Daten für die Erschließung generiert werden können. Anne Herfurt und Felix Lange beschreiben den Einsatz von Open Government Data im Bundesarchiv.

Es ist ein bunter Strauß an Texten entstanden, der einen Überblick über die Herausforderungen bietet, die digitale Archivalien für Archive heute bedeuten und auch künftig bedeuten werden. Vor allem zeigt sich an den Ergebnissen des 28. Archivwissenschaftlichen Kolloquiums, dass es bei gleichen Phänomenen wie der eAkte vielfältige Möglichkeiten gibt, die Herausforderungen anzugehen.

Ich danke dem Herausgeberteam für seine engagierte Arbeit und Stephanie Paul für die Arbeiten am Satz und die Einrichtung der Druckvorlage.

Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre.

Marburg, im April 2025


Becker, Irmgard Ch.; Haffer, Dominik; 
Lehrmann, Florian; Meier, Robert 
und Karsten Uhde (Hrsg.)
2025, 355 S., broschiert